... Bilder virtuell in Gang zu bringen, ist eine Spezialität
dieser Künstlerin. Sie legt uns ein Bild hin, öffnet damit die Schleusen
unseres Unterbewussten. Nicht nur Versuchsanordnungen auszulegen, sondern ganze
Abläufe selber in Bewegung zu setzen – dies war der Auslöser für die
Auseinandersetzung mit dem Medium Film. Theres Liechti hat inzwischen ein
knappes Dutzend Kurzfilme im stop-motion-Verfahren realisiert, die an Prägnanz
und Originalität zum Besten gehören, was ich in diesem Bereich im Documenta-
und Biennale-Jahr 2017 gesehen habe.
Die nicht zu überbietende Einfachheit und Selbstverständlichkeit
ihrer filmischen Aperçus, die oft nur in einer einzigen Körperbewegung
bestehen, sind cool und einfach genial. Ihre Protagonisten sind Puppen,
Plastikschweinchen, der eigene Hund; die Spielorte vorzugsweise Puppenstuben. Häufig
passiert fast nichts. Besamo mucho:
Man sieht eine Puppe, ein Mädchen im roten Röckchen steht vor uns. Lange
nichts! Läuft der Film überhaupt? Plötzlich springt das Püppchen hoch und
spreizt wie ein Hampelmann die Beine und wirft die Arme in die Höhe. Außer dem
Röckchen trägt es keine Kleider. Dann geht’s zurück in die keusche
Ausganslage. Ebenfalls wie unter einem Bann führen die Puppen im Puppenhaus Insomnia immer wieder die exakt
gleichen Bewegungen aus: Diese Szenen wirken wie Albträume: Liechtis Puppen
sind Sisyphos‘ Schwestern. Doch es gibt auch heitere Zwischenspiele, wenn sie
ihren Schlafenden Hund filmt und
der Kreatur die Ruhe gönnt oder wenn sie mit ihren Händen Monster in den Raum zaubert. ...
Matthias Frehner, Ausschnitt
Laudatio, Carl Heinrich Ernst Preisverleihung, Kunstmuseum Winterthur, 2017