FEUER IM DACH, Videoprojektion, FACETTENREICHES SCHWARZ, oxyd, Winterthur, 2024

...Den gelungenen Abschluss der Ausstellung setzt Theres Liechtis Videoprojektion ‹Feuer im Dach› (2015). Vor schwarzem Hintergrund gehen archetypische, weisse Papierhäuser in Flammen auf. Die Kirche, das Einfamilienhaus, der Wohnblock – langsam verbrennen sie und stehen dank dem Loop wieder unversehrt da. Diese Bilder sind ebenso einfach wie ausdrucksstark. Form und Inhalt bilden eine Einheit. Schwarz sind der Hintergrund und die Asche, schwarz das Drama und das Nichts – bis zum Neuanfang.

Kristin Schmidt, Kunstbulletin 3/2024

 

BH, Objekt, Galerie 710, Winterthur, 2023

 

NIGHT VISIT, Plakat, kunstkasten, Winterthur, 2023

Theres Liechti beschäftigt sich in ihrer Werkgruppe PARADISE mit der Wahrnehmung von Glück, von echten und falschen Naturidyllen. Seit etwa 2020 arbeitet sie häufig im Tessin und seither tritt vermehrt die Auseinandersetzung mit der Natur in ihrem Werk auf. Sie zeichnet etwa die wunderschönen aber leider auch sehr invasiven Adlerfarne oder macht Videos von der ökologisch hochproblematischen Tessinerpalme. Das Oszillieren zwischen dem paradiesischen Gefühl des Aufgehobenseins in der Natur und dem Erleben von deren Zerbrechlichkeit durchdringen diese Arbeiten.

Seit diesem Jahr treten nun auch Wildtiere in ihren Arbeiten auf. Die Fotoserie NIGHT VISIT hat Theres Liechti mit einer Wildkamera aufgenommen. Für die Plakataufnahme hat sie die Kamera um 90 Grad gekippt und zum Hochformat montiert. Damit wird das Erfassen der Tiere schwieriger und häufig wird nur ein Teil des Tieres erwischt. Dieses flüchtige und unvollständige Bild vom scheuen Wildtier korrespondiert mit unserem erfolglosen Haschen nach dem perfekten Glück.

Foto © Fabian Stamm

 

TIERE, Stop Motion Animation, Loop , Fassadenprojektion, RECONNECTION CINEMA, Apollo, Kreuzlingen, 2023

SCHAUEN, Videoprojektion, RECONNECTION CINEMA, Apollo, Kreuzlingen, 2023


Was tut dieser übergrosse Hund da?

...Diese ersten Sichtungssamples ver-schrauben sich zu einer kosmisch komischen Szenerie, die auch aus einem Science Fiction B-Movie aus den 80er Jahren stammen könnte. Hier darf, nein, hier soll gespielt werden. Und hier wurde gespielt. Von den Künstler:innen. Und Kurator:innen.

Wie aber sieht das konkret aus: Im Eröffnungsraum grüsst uns direkt die Arbeit „SCHAUEN” von Theres Liechti eine übergrosse Projektion eines Hundes, der uns aus übergrossen Augen anstarrt. ...

Das Internet hat unsere Wahrnehmung von Bewegtbildern verändert. Die Aufmerksamkeitsspannen werden kürzer und kürzer, als User:innen tauchen wir im Dauerloop des Algorithmus, der fast allen von uns Tiervideos auftischt, weil fast alle von uns Tiervideos mögen. Ein schlüssiger Startpunkt.
...
Jeremias Heppeler, thurgaukultur.ch

 

Kunst im Ofen, Winterthur, 2023

FARN 01/ FARN 02, Tusche auf Aquarellpapier, je 100 x 70 cm


EVA, Farbstift, getrocknete Pflanzen auf Durchschlagspapier, A4, 2021/ 22

 

Foto: Eveline Cantieni, Uors, 2022

FRAU AM KREUZ, Plakat, Page Blanche, coucou Kulturmagazin 107, 2022

Kunst und Leben greifen für Theres Liechti immer ineinander. Die Winterthurer Künstlerin bildet ab, was sie in ihrem Alltag vorfindet und sucht nach jenen Kippmomenten, in denen die Dinge weder schön noch unangenehm sind. Ihre künstlerischen Arbeiten widerspiegeln daher auch die Haltung, mit der die 53-Jährige durchs Leben geht. Dazu gehört auch viel Ironie, mit der sie Themen wie Sexualität, Selbstoptimierung und Heile-Welt-Vorstellungen in ihren Zeichnungen, Video-Projektionen und Stop-Motion-Filmen in Frage stellt.

Für die Page Blanche in dieser Ausgabe hat die Winterthurer Künstlerin ein Kruzifix fotografiert, das hinter der Eingangstür einer Tessiner Alphütte hängt. Theres Liechti zieht sich gerne dorthin zurück. «Das Kruzifix gehört zur Tessiner Kultur, es einfach abzuhängen, war für mich keine Möglichkeit», sagt sie. Auf dem Flohmarkt fand sie ein Puppenkleid – und entschloss sich, dieses der Figur überzuziehen, um mit dem Bild des leidenden Jesus zu brechen. «Mich interessiert, wie dieser veränderte Kontext die Wahrnehmung dieser Figur beeinflusst». Die Fotografie machte aus dem Kruzifix ein neues Werk: «Frau am Kreuz». Als sie nach einem passenden Titel suchte, stiess Theres Liechti auf die Legende der Wilgefortis – auch bekannt als die Heilige Kümmernis. Die Legende geht so: Auf Geheiss ihres Vaters hätte Wilgefortis einen heidnischen Prinzen heiraten sollen. Sie weigerte sich und bat Gott, nicht mehr begehrenswert zu sein. Über Nacht wuchs ihr ein Bart. Der Prinz wollte nichts mehr von ihr wissen und der erzürnte Vater liess sie kreuzigen. Von der gekreuzigten Frau mit Bart entstanden im deutschsprachigen Raum zwischen 1400 bis 1848 zahlreiche ikonographische und literarische Zeugnisse. Die Heilige Kümmernis gilt auch als Schutzpatronin der LGBTQ-Gemeinschaft.

Sandra Biberstein,



 

PALME, Projektion, Kunstmuseum Winterthur, 2021

Foto: Erna Weiss


Das Video «Palme» zeigt eine weisse Hauswand, wenig Palmblätter und ein Stück Wiese. Je nach Wind und Wolkenzug wird die Sonne mehr oder weniger verdeckt und projiziert ein wechselndes Schattenspiel an die Wand. Wie durch Zauberhand erscheint und verschwindet die im Wind bewegte Palme.

 

SCHLECKEN, Videocity Winterthur, Lagerplatz, Winterthur, 2021/ 22

Foto: Dirk Wetzel

Videos von frühmorgens bis Mitternacht:
Die Künstlerin Theres Liechti hat einen bewegenden Zyklus kuratiert. Einsamkeit und Essen sind die Themen. Auch Liechti selbst ist mit einem Film vertreten. Nicht zum ersten Mal hat ihr Hündchen Molly einen Cameo-Auftritt, im Video «Schlecken». Wie Molly die Leberwurstpaste von einer Glasscheibe leckt und dabei immer sichtbarer wird, sagt viel aus über Lust und Gier.
Adrian Mebold


 


SUPERWOMAN, Videocity Winterthur, Lagerplatz, Winterthur, 2021/ 22

Foto: Dirk Wetzel


Videocity Winterthur ist ein Corona Kulturprojekt 2021 der Stadt Winterthur;

Vielen Dank für die Unterstützung!

 

FAKE, Glücksherbarium, Installation, Bachtelapotheke, Winterthur,  2021


Die Installation «FAKE Glücksherbarium» an der Schaufensterscheibe besteht aus echten, jedoch gefälschten, vierblätterigen Kleeblättern. Die Arbeit thematisiert unsere stete Suche nach dem wahren Glück. Sind die gefälschten selbstgebastelten weniger wert als die echten vierblätterigen Kleeblätter, die eigentlich eine Fehlentwicklung, eine Mutation der Natur sind?

 

MAUS, Röntgenpacket, Kunst macht sichtbar,  Jahresgabe visarte Zentralschweiz, 2021

 

SUPERWOMAN, Projektion, Last Exit Eden 2, Sta. Maria Val Müstair, 2021

Foto: Christian Beutler


Die Stop Motion Animation «Superwoman» zeigt eine weibliche Figur in der Pose des berühmten Superman – mit ausgestreckten Armen – über Berggipfel fliegen. Während der Comic-Held im Kampf gegen die Schurken dieser Welt hoch über Skylines US-amerikanischer Metropolen fliegt, segelt Superwoman gegen Hindernisse an. Da sieht man einen steten Gegenverkehr in Form von niedlichen Zierkissen oder Deckeli heranschwirren. Alles Accessoires einer Sphäre, in der die Gesellschaft Frauen auch heute noch gerne sieht: Im trauten Heim, am Herd, im Schoss der Familie. Superwoman hat Superkräfte mobilisiert, um aus der beengenden Sphäre weiblicher Existenz in die Freiheit zu fliegen. Superwoman hat sich entschieden, selbst perfide Hindernisse in der Luft können sie nicht aufhalten. Die Frage, wohin ihr Ausbruch führt, wird in der Arbeit bewusst nicht beantwortet. Höhenflug oder Absturz nach Kollision? In Freiheit ist immer fast alles möglich.
Christina Peege

 

 
Aufhellung des Interieurs, Villa Flora, 2020

Die sich im Wandel befindende Villa Flora bietet eine spannende und inspirierende Ausgangslage: Gemeinsam in ihrem Interesse, sich auf einen Ort oder Geschichtliches einzulassen, reagieren die Künstlerinnen in poetisch-spielerischer Manier mit ortsspezifischen Interventionen, Installationen und Videoprojektionen auf die Zeugnisse und Spuren der Vergangenheit und stellen die «grossbürgerliche Idylle» in ein neues Licht. Einzelne Werke werden zusätzlich im winterlichen Garten installiert.

SCHAUEN, Videoprojektion auf Tapete, Aufhellung des Interieurs, Villa Flora, 2020
Foto: Georg Aerni

Zwischen Überwachungskamera und Notausgang sitzt eine Minihündin in übergrosser Projektion. Hunde kommunizieren mit ihren eigenen Ausdrucksmitteln. Hin und her kippt das Köpfchen. Theres Liechti regt mit ihrem Video «Schauen» zu Fragen nach Würde und Respekt, Abhängigkeit und Inbesitznahme – auch zwischen Mäzenatentum und Kunstschaffenden – an. Ist die Hündin Wachhund, Kuscheltier, beste Freundin oder nur ein weiteres Schmuckstück im grossbürgerlichen Interieur?
Sabine Arlitt



 

SCHLECKEN, Rückprojektion ans WC-Fenster, Aufhellung des Interieurs, Villa Flora, 2020

Foto: Ida Dober


Es scheint ein grösseres Monster im WC-Räumchen eingesperrt zu sein. Mit lustvoller Freude, triebhaft und gierig bis hinein ins Rauschhafte gehend, schleckt eine Monsterhündin eine rosafarbene Schicht von der Glasscheibe des WC-Fensters weg. Je länger das «Schlecken» geht, desto mehr eröffnen sich Durchblicke in den dunklen Raum dahinter. Die Multimediakünstlerin Theres Liechti beschäftigt sich eingehend mit Tabuzonen und gesellschaftlichen Verhaltensweisen. Sie kratzt mit pointierter Wachsamkeit an Heile-Welt-Vorstellungen.
Sabine Arlitt


 

ZUNGEN, Roter Koffer, 6 Objekte, Latex, Hundehaare, Pferdehaare, Kamm, Aufhellung des Interieurs, Villa Flora, 2020
Foto: Georg Aerni

 

«Ateliers», Villa Sträuli, Winterthur, 2020

GLÜCKSHERBARIUM, FAKE 01, Kleeblatt, Reparaturband, auf Innova Photo Cotton Rag 315gr, A4

Villa Sträuli, Winterthur, 2020


GLÜCKSHERBARIUM, REAL 04, Kleeblatt, Reparaturband, auf Innova Photo Cotton Rag 315gr, A4

Villa Sträuli, Winterthur, 2020


 

FAKE, Pigment Inkjetprint auf Innova Photo Cotton Rag 315gr, A4, 2020

Villa Sträuli, Winterthur, 2020

Edition 25 plus 2 EA, Produktion Laboratorium Zürich, CHF 350.- (inkl. Plexiglas UV100)

 

 

HIMMELSFENSTER, Video, 1920x1080, 57:51, Loop, ohne Ton, Nr.1/5, Hochformat Monitor 49 Zoll, 107 x 62 cm, 2020

Villa Sträuli, Winterthur, 2020


Das Video «Himmelsfenster» gehört ebenfalls zum Werkzyklus PARADISE. Die Frage nach echt oder falsch wird darin auf poetische und subtile Weise gestellt. Es zeigt ein Badezimmerfenster, dessen Glas fast vollständig mit einem Wolkenvorhang verdeckt ist. Bei längerem sehr genauem Hinsehen wird erkennbar, dass es kein Standbild ist, sondern dass sich ein Teil der Wolken verdichtet und wieder auflöst.


 

 

«IN TRANSITION», 6 1/2, Spinnerei Bühler, Sennhof, 2020

PUPPE, Stop Motion Animation, Loop, Projektion, In Transition, 6 1/2, Sennhof, 2020

Foto: Peter Baracchi



SPINDEL, Stop Motion Animation, Loop, Monitor 7 Zoll, In Transition, 6 1/2, Sennhof, 2020

Foto: Peter Baracchi

 

 

«Edition 20mal Kunst im Briefkasten», 2020

«Pudel», A4 gefaltet auf A5, Edition 20mal Kunst im Briefkasten, Tintenstrahldruck auf Transparentpapier, 2020


Über Nacht sind wir gezwungen, in unseren vier Wänden zu bleiben. Soziale Kontakte sind eingeschränkt, Konzerte, Theater und Ausstellungen, können nur noch mit digitalen Hilfsmitteln genossen werden. Das physische Erleben, bis dato so selbstverständlich, dass wir nie darüber nachgedacht haben, ist uns plötzlich abhanden gekommen.
Das Kunstprojekt Kunst-Post, wurde von Oliver Krähenbühl und Theo Hurter initiiert. Ein einmaliges Künstler-Buch von Kunstschaffenden aus der Schweiz, Deutschland und Österreich, will diesem Verlust in der Isolation etwas entgegenhalten.
Oliver Krähenbühl und Theo Hurter

 

 

«fanestrina da video», Posta, Sta. Maria Val Müstair, 2020

«Monster», Video, Loop, ohne Ton, fanestrina da video, Posta, Sta. Maria Val Müstair, 2020


«Monster», ein Wiedergänger der Schattenspielfiguren unserer Kindheit, ist Handwerk im wortwörtlichen Sinn. Das Fertigungsstück bleibt jedoch ungreifbar, ist flüchtiges Trugbild, Einbildung, Phantom. Durch Umkehrprojektion zur Lichterscheinung erklärt, lässt der Formwandler die Umstehenden dennoch gebannt vor seiner Silhouette verharren. Mit ganz simpel anmutenden Mitteln wird so ein Bogen geschlagen von den einst ängstigenden Ausgeburten der Phantasie zu den Mechanismen der Imagination und zur Magie des bewegten Bilds.

Astrid Näff


 

 

«Salome...», Transformation#3, Temporäre Kapelle, Veltheim, 2020

«Reh», Video, Loop, ohne Ton, Transformation#3, Temporäre Kapelle, Veltheim, 2020


Die an die Wand projizierte Stop Motion Animation zeigt in faszinierender Schlichtheit die Figur eines Rehs, die sich wie beim Motiv «Frau» in einer Endlosschleife immer im gleichen Bewegungsablauf befindet. Hier als ein Schattenbild, ein Umrissbild, ein bewegter Scherenschnitt. Steh-auf, klapp-zu. Aufraffen, zusammensinken. Die Figur zeigt sich uns gestärkt, dann wieder verletzt, sie rührt uns in seiner vermeintlichen Hilflosigkeit beim Zusammensacken und regt unsere Empathie und unseren Helfer-Instinkt an, ähnlich, wie bei einem schutzbedürftigen Kleinkind. Im Übergang zwischen seiner Aufrichtung und seinem Zusammenbruch wird aus dem Tier ein anderes Etwas, wird ein Zwischending, ein Hybrid, sieht für einen kurzen Moment fast bedrohlich aus. Diese Darstellung mag symbolisieren, dass eine Niederlage nicht das Ende bedeuten muss und es immer wieder einen Anfang gibt, der ins Positive führen kann. Das Reh, das titelgebend ist, ist in natura ein Holzspielzeug, genannt Wakouwa. Auf Daumendruck kann die Position der Gelenke verändert werden, die innerlich durch eine Schnur verbunden sind.
Katharina Henking

«Frau», Stop Motion Animation, Loop, ohne Ton, Transformation#3, Temporäre Kapelle, Veltheim, 2020


... Geht es in der Stop Motion Animation mit dem Titel «Frau» ebenfalls um Gewalt – oder um Geschlechterkampf und wer Täter und wer Opfer ist? Was man in der Projektion sieht, ist eine bewegt Masse, die eine Frauenfigur, die dem Ideal der 1920 Jahre entspricht und vermutlich als Illustration auch aus der Zeit stammt, fast komplett überdeckt. Meine erste Assoziation war: Das sind Maden. Meine zweite: Eine bewegte Spitzenhülle, ein sich bewegendes ornamentales Geflecht. Aber bei genauer Betrachtung handelt es sich um Spielzeugsoldaten, welche einen seltsamen Kampf austragen. Betrachtet man aber die Figuren im Einzelnen, hat man den Eindruck, dass es hier mehr um Abwehr und Verteidigung als um Angriff geht. Jeder Soldat scheint isoliert einen inneren Konflikt auszutragen, hilflos, ausgeliefert und marionettenhaft. Zwar liegt die Assoziation einer Massenvergewaltigung genau so nah, wie sie leider nicht nur in Kriegszeiten vorkommen, wenn jegliche Moral und Grenzen entfallen. Aber was hier in der Masse passiert, führt zu keinem sichtbaren Ziel. Die Figuren wirken mit ihren ruckartigen Eiertänzen nicht wie testosterongesteuerte Monster. Der Soldat, bzw. der Mann entlarvt sich hier als das schwache Geschlecht. Die begehrte Frau bleibt seltsam unberührt und unerreichbar, sie fungiert als Projektionsfläche. Sie behält die Oberhand und ist die Überlegene. Oder liesse es sich auch so lesen, dass die Soldaten einen Schutzwall um die Frauenfigur legen, um sie vor Eindringlingen zu schützen?
Katharina Henking

«Salome 4 Zoll», Farbstift auf Papier, 29,7x21 cm, Transformation#3, Temporäre Kapelle, Veltheim, 2020


... Als Theres Liechti zu den romanischen Fresken im Kloster Müstair aufschaute, entdeckte die Veltheimer Videokünstlerin die Szene mit der tanzenden Salome. Sie war fasziniert und dank eines Stipendiums hatte sie auch Zeit für digitale Recherchen.
Dabei stiess sie auf Tausende von Bildern mit dem Salome-Motiv. Nicht nur der tanzenden, sondern auch jener Salome, die triumphierend das abgetrennte Haupt des Johannes des Täufers präsentiert. Berühmte Künstler hatten sich in der Hochblüte der Malerei mit dem biblischen Thema beschäftigt, etwa Tizian, del Piombo oder Cranach. Deren Meisterwerke hat Liechti nun ausgewählt und als Farbstiftzeichnung und Miniatur ausschnittsweise wiedergegeben – mitsamt dem Smartphone als Rahmen. Damit schafft sie einen direkten Bezug zur Gegenwart, wo Handybenutzer ungefiltert mit Bildern von Opfern von Gewalt konfrontiert werden.
...
Konventionell wird die verführerische Salome auf eine «femme fatale» reduziert, die auf die Einflüsterung ihrer Mutter hin von ihrem Stiefvater, dem König Herodes, das Haupt des Johannes verlangt. In den biblischen Legenden repräsentiert der Eremit Johannes sittliche Selbstkasteiung und Verzicht auf Lebensgenuss. Diese antagonistische Figurenkonstellation hat Maler, Komponisten und Literaten zu mannigfachen erzählerischen Deutungen angeregt.
...
Liechti schlägt einen Pfad ein, dessen Perspektive weiblich orientiert scheint. Und mit der zeichnerischen Fokussierung auf die selbstbewusst posierende Salome, die den Kopf des Johannes als Trophäe präsentiert, wird dem Betrachter ein Deutungshorizont vorgeschlagen, der feministisch grundiert ist und Salome (und ihre Mutter) in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt: Das abgetrennte Haupt ist weniger Ausdruck persönlicher Rache (an Johannes), sondern steht als Symbol für einen radikalen Akt gegen (männliche) Unterdrückung und Herrschaft sowie gegen das Diktat einer körperfeindlichen Askese und Moral.
Letztlich verweist die Geste auch auf Verzweiflung und Notwehr und kulminiert in einer blutigen Aktion der weiblichen Selbstermächtigung. Darin werden die Befreiung von moralischer Tyrannei und Emanzipation von den Fesseln lebensverneinender Gebote und Verbote symbolisch angekündigt.
...
Adrian Mebold

 

 

«Dezemberausstellung», Projektion auf Spiegel, Kunstmuseum, Winterthur, 2019

«Das ist jetzt gewiss», Videoprojektion mit Spiegel, Kunstmuseum Winterthur, 2019/20


... Dann folgt bereits der erste und einzige Höhepunkt: Fünf Videoarbeiten in einem Raum, das ist nicht nur ein Bekenntnis zu diesem Medium; es ist ebenso eine Demonstration seiner Möglichkeiten, ...

Adrian Mebold



 


«Poesie des Raumes», Villa Renata, Basel, 2019

«Insomnia», Stop Motion Animation, Loop, ohne Ton, Projektion auf Wandmalerei, Villa Renata, Basel, 2019


Wir blicken in ein Puppenhaus. Draussen ist es dunkle Nacht, der Mond steht am Himmel. Doch statt wohlig zu schlummern sind die Bewohner - alles Puppen natürlich - umgetrieben von quälender Schlaflosigkeit. Sie wälzen sich im Bett, gehen umher, die eine geht in die Küche, eine andere dreht den Fernseher an. Und wir alle kennen sie, diese Ueberbrückungshandlungen beim Warten auf den ersehnten Schlaf. Wenn auch noch Blitz und Donner niederkrachen, wird die Nacht definitiv zum Albtraum. Das Fesselnde an dieser Animation ist – und das ist charakteristisch für Theres Liechtis Arbeiten - dass man sich selber wieder erkennt, dass eigene Erinnerungen an durchwachte Nächte und kindliche Angstträume wach werden. Mit einem Gemisch aus Schmunzeln und Beklemmung verfolgt man das nächtliche Treiben im Puppenhaus.

Rebecca Gericke-Budliger

 

 

«Kunstfestival», Projektion auf Hocker, oxyd, Winterthur, 2019

 

«Sprich nicht von Abschied Melanie», 26 Titelblätter, Diaschau, ohne Ton, Projektion auf Hocker, oxyd, Winterthur, 2019


 

«Lonelyness», videocity.bs, Messeplatz, Basel, 2019

«Superwoman», Stop Motion Animation, eBoard Congress Center Basel, Messeplatz, videocity.bs 2019
copyright photos: livingpool photography

Die Stop Motion Animation «Superwoman» zeigt eine weibliche Figur in der Pose des berühmten Superman – mit ausgestreckten Armen – über Berggipfel fliegen. Während der Comic-Held im Kampf gegen die Schurken dieser Welt hoch über Skylines US-amerikanischer Metropolen fliegt, segelt Superwoman gegen Hindernisse an. Da sieht man einen steten Gegenverkehr in Form von niedlichen Zierkissen oder Deckeli heranschwirren. Alles Accessoires einer Sphäre, in der die Gesellschaft Frauen auch heute noch gerne sieht: Im trauten Heim, am Herd, im Schoss der Familie. Superwoman hat Superkräfte mobilisiert, um aus der beengenden Sphäre weiblicher Existenz in die Freiheit zu fliegen. Dazu passt, dass der Blick auf Landschaft und Figur durch ein Fenster geht, vor dem eine Kurzgardine hängt. Offensichtlich schweift der Blick aus einem Innenraum hinaus ins Freie, zu Himmel, Landschaft und Gebirge. Die bieder gemusterte Gardine suggeriert häusliche Geborgenheit, die aber in ein Gefühl der Beengung kippt. Superwoman hat sich entschieden, selbst perfide Hindernisse in der Luft können sie nicht aufhalten. Die Frage, wohin ihr Ausbruch führt, wird in der Arbeit bewusst nicht beantwortet. Höhenflug oder Absturz nach Kollision? In Freiheit ist immer fast alles möglich.
Christina Peege

 

 

«Sinnsen», Chasa Jaura, Valchava, 2019

«Salome 4 Zoll», Farbstiftzeichnungen, SINNSEN, Chasa Jaura, Valchava, Val Müstair, 2019

Liechtis neueste Arbeit Salome 4 Zoll besteht aus acht Farbstiftzeichnungen, entstanden Anfang 2019 während eines Atelierstipendiums im Münstertal. Ausgangspunkt war die romanische Wandmalerei im Benediktinerinnenkloster St. Johann in Müstair, welche die Enthauptung Johannes des Täufers und das Festmahl des Herodes mit dem Tanz der Salome zeigt. ... Liechti interessiert sich für das Moment der auf den Händen tanzenden Salome und deren Präsentation des Hauptes von Johannes auf einem Teller.

... Details wie der Homebutton und die Hörermuschel scheinen Liechti nicht zu interessieren, auf den meisten Zeichnungen fehlen diese. Wir schauen mit ihr frontal aufs iPhone im Massstab 1:1. Sie legte ihr Smartphone aufs Papier und fuhr die Umrisse nach um dessen wirkliche Grösse genau wiederzugeben. ... Wir blicken als Betrachter_innen gemeinsam mit der Künstlerin auf ihre «Schaltzentrale», wie sie ihr Smartphone bezeichnet, sie organisiert damit ihr Leben. Ein Smartphone ist in der Lage uns an einem x-beliebigen Ort auf der Welt räumlich und zeitlich an einen anderen reisen zu lassen.

Helene Rüegger


«Monster», Video, Projektion, SINNSEN, Chasa Jaura, Valchava, Val Müstair, 2019

Theres Liechti bespielt das Haus mit immer humorvollen wie gleichsam irritierenden
Videoinstallationen: Auf den ersten Blick leicht, auf den zweiten tragen sie das Irritierende der damaligen wie auch der heutigen Welt in sich.

Katharina Hohenstein



«Schweinemagd», Stop Motion Animation, Projektion auf Holzbrettli, SINNSEN, Chasa Jaura, Valchava, Val Müstair, 2019

Mit der Figur der Schweinemagd, die kurbelnd Tier um Tier der ihr anvertrauten Herde in einen Brunnenschacht lockt, verweist Theres Liechti auf Motive der Volksliteratur, ohne jedoch eine spezifische Vorlage zu zitieren. Wie im Märchen korreliert die als Abwehr verhexter Freier durch die ebenso schöne wie stolze Maid verstandene Handlung in ihrer Radikalität mit latenten persönlichen Wunschvor-stellungen von Liebe und Glück. In der doppelten Unentrinnbarkeit, die sich, potenziert durch den Loop, aus dem unaus-weichlichen Brunnensturz und der zyklischen Wiedereinreihung der Tiere in den Reigen ergibt, erfüllt sich die für Märchen charakteristische Unterscheidung in Gut und Böse, Belohnung und Bestrafung jedoch nicht. Für den Ausgang und damit auch für die Moral der Geschichte wird an den Betrachter und seine Phantasie appelliert.

Astrid Näff


 

 

«Öl auf Leinwand», oxyd, Winterthur, 2019

«Pusteblume», Video, Loop, oxyd Kunsträume, Winterthur, 2019

Unter den Videos sticht die Arbeit «Pusteblume» von Theres Liechti heraus. In dieser Studie weiblicher Befindlichkeit wird blaugefärbtes Haar über einem Gesicht regelmässig sanft aufgewirbelt – ein diskreter Hinweis darauf, dass das Leben noch nicht ausgepustet ist.

Adrian Mebold

 

 

«Manual», Zeichnungen, Kohlepause auf Haushaltpapier, oxyd Kunsträume, Winterthur, 2019

 

 

«Waschung», IT AIN‘T MUCH I‘M ASKING, IF YOU WANT THE TRUTH, knoerle & baettig contemporary, Winterthur, 2019


Dem häuslichen und familiären Horror in unterschiedlicher Schattierung zugeneigt sind die Arbeiten von Theres Liechti. In ihrem Video fährt sie immer wieder mit einem Waschlappen über ihr Gesicht, aus dem weit aufgerissene Augen den Betrachter anstarren. In der hektischen Wiederholung wird das zwanghafte des Reinigungsrituals deutlich; in ihrer Wortarbeit mit der lautspielerischen Sentenz "Haushalten hilft aushalten" spricht Liechti einer Masse von traumatisierten Frauen aus dem Herzen.
Adrian Mebold

 

 

Val Müstair, Zeichnungen A4, Mixed Media, 2018

 

«Homesick», Projektionen, Shed, Eisenwerk, Frauenfeld, 2018
Fotos: Beni Blaser

 

 

«Homesick»,  Kugelschreiber auf Tapete, Installation, Unjurierte, Eulachhalle Winterthur, 2017



«Homesick», «Basil und Rey», Kugelschreiber auf Tapete, 2015, Kunstsammlung Stadt Winterthur

«Rey 1» zeigt einen kleinen Hund, der sich beim Schlafen eng zusammengerollt hat, «Rey und Basil 2» stellt einen Jungen dar, eng angeschmiegt an Rey, beide schlafen friedlich. Die beiden Werke gehören zu der Serie «Homesick», eine Werkreihe, die weiterhin fortgeführt wird. «Homesick» besteht aus Zeichnungen, die innerhalb der letzten drei Jahre entstanden sind (und weiterhin entstehen) und um das Thema Heim, Familie und Geborgenheit kreisen. Dabei kommt es nicht von ungefähr, dass diese beiden Darstellungen mit Kugelschreiber auf Tapetenresten gezeichnet sind. Tapeten stehen einerseits für ein heimeliges Zuhause, für Gemütlichkeit und eine gewisse Wohligkeit. Andererseits können Tapeten die Stimmung aber auch zum Kippen bringen, können auch leicht etwas altmodisch daherkommen, abblätternde Tapeten drücken nicht nur Vernachlässigung, sondern auch eine unterschwellige Schwermut oder Morbidität aus. Aber genau wie Tapeten an sich, widerspiegeln diese Zeichnungen diesen Widerspruch: Die Sehnsucht nach Geborgenheit, Heimeligkeit und die gewisse Note von mitschwingender Melancholie.

Katja Baumhoff




«Homesick», «Rey»; Kugelschreiber auf Tapete, 2015, Kunstsammlung Stadt Winterthur


«Torte», Baumwolledeckchen,  2016

 

 

«Torera», Stop Motion Animation , Projektion auf Schürze, 100-Jahre Künstlergruppe, Winterthur, 2016

 

«Rey sitzt», Video, Projektion auf Tapete, «Inspiration Flora», Villa Flora, Winterthur, 2016


«Rey sitzt» ist eine Videoproduktion, die formal als Guckloch konzipiert ist. Durch die Öffnung kann man einen zierlichen schwarzen Hund mit bereits etwas angegrauter Schnauze auf einer Wiese beobachten, wie es sich vor dem Betrachter in Szene setzt und in Richtung des Gucklochs schaut. Das «Dog-Peeping» hat eine durchaus humoristische Komponente: Denn wer beobachtet hier eigentlich wen? Der Hund geht visuell in irritierender Weise, nämlich vorwärts und wieder rückwärts. Er setzt sich hin und dann geht der Loop von vorne los. Das Tier bewegt sich in einem Dressurmodus, der seiner tierischen Natur völlig zuwiderläuft und seine Instinkte ad absurdum führt. Eine weitere Bedeutungsebene schafft die gemusterte Tapete als Projektionsfläche: Sie ist Sinnbild bürgerlicher Lebensräume, in welchen Bedürfnisse oft domestiziert werden und zahlreiche Konventionen das Individuum so weit verbiegen, dass dieses zu einem funktionierenden Mitglied der Gesellschaft wird. Es wird so folgsam wie ein guter Hund.

Christina Peege



 

«Feuer im Dach», Video, Projektion, «Parcours humain», Tramdepot Burgernziel, Bern, 2016

 

 
 

«Bad», Stop Motion Animation, 00:21, Loop

Holzkiste mit Türspion, Sträuli Seife Rechnung, Monitor 10“, SD-card

Installation «Kerzen und Seife», Villa Sträuli, Winterthur, 2016


 

«Feuer im Dach», Video, Projektion auf Tapete, Neuwiesenhof, Winterthur, 2015


Die Ausstellung erweist dem geschichtsträchtigen Ort durch souveräne Interaktionen seine Reverenz. Diese beginnt bereits bei der Garderobe, wo Theres Liechti eine unter dem Täfer freigelegte Tapete als Untergrund für ihre Projektion «Feuer im Dach» nutzt. Ihre Arbeit thematisiert die Störung des häuslichen Friedens in Form eines Beziehungskonfliktes.

Lucia Angela Cavegn


 
 

«Kreuzweg» oder «Letzte Sätze» , 14 Handspiegel mit Gravur, Tisch, LED, Baumwolle, 75x75x45, Neuwiesenhof, Winterthur, 2015

Für Theres Liechti sind die wohl wichtigsten Inspirationen ihre Alltagsbeobachtungen. Sie hat ein ausgeprägtes Flair für die Zwischentöne des Lebens, sie hat den Blick für die Magie des Gewöhnlichen und für Skurriles in den Alltäglichkeiten. Und vor allem hat sie die Gabe, ihre Beobachtungen witzig, feinsinnig und mit Tiefgang in ihre Kunst einfliessen zu lassen.

Rebecca Gericke-Budliger


 

«Torte», Stop Motion Animation

Projektion, Mädchenheim Murg, 2015


Betreten wir den Raum, so werden wir als erstes mit dem Ausblick auf den Walensee und der Umgebung mit ihrer Üppigkeit überrascht. Ein nächster Impuls lenkt unseren Blick auf die Projektion an der Decke, die eine in Stuck gefaßte Rosette überlagert. Schichten von Häkelformen als Duplikate der Rosette in Orange, Beige und Ocker transformieren die architektonische Form.

Häkeln könnte eine der Freizeitbeschäftigungen der Spinnereiarbeiterinnen gewesen sein, eine meditative Arbeit, bei der sich auch Tagträume materialisieren ließen. Und wer weiß, ob da nicht auch Sehnsüchte einer möglichen Hochzeit mit „Torte“ ihren Ausdruck fanden. Das auf jeden Fall suggeriert uns der Titel dieser Arbeit. Da sich die Häkelschichten stetig wandeln, wird suggestiv angedeutet, daß das erträumte Glück nicht zwingend von Dauer sein muss. 

Franziska Lingg

«Katze» , Tusche auf Aquarellpapier, 100x70 cm, 2014


«Schiff», Tusche auf Aquarellpapier, 100x70 cm, 2014


«Torte», Projektion auf Porzellen, Kunsthalle Winterthur, 2014

Sammlung Stadt Winterthur

 
 

«Frau», Stop Motion Animation, 00:40, Loop, 2013 


 

«Latexdinger», Latex, Pigmente, Watte, Faden, Strumpf, Gaze, 1997/98

Installation, Gewerbemuseum Winterthur, 2013/14


Von grosser Unbekümmertheit und Sinneslust sind Theres Liechtis «Latexdinger››. Schon bei der Arbeit an der «Vitrine›› experimentierte die Winterthurer Künstlerin mit Latex. Das in der Bildhauerei kaum benutzte Material hat interessante Eigenschaften: es können ihm Farben beigemischt werden, seine Oberfläche erinnert an die menschliche Haut und es ist elastisch. lm Werk „Latexdinger“ stellt Theres Liechti vergrösserte Eicheln, Brüste und Vaginas zu einem bunten, vitalen Stilleben zusammen. Sie erinnern spontan an Frida Kahlos (l907-l954) berühmte Gemälde mit exotischen Früchten aus den vierziger und fünfziger Jahren. Nur funktionieren sie in umgekehrter Weise. Waren die gemalten Früchte der mexikanischen Künstlerin ein verschlüsselter Hinweis auf Sexualität, deren direkte Darstellung damals noch nicht möglich gewesen war, erinnern die unverhohlen erotischen Objekte von Theres Liechti an Früchte, deren Konsum sinnlicher Genuss verspricht. Mit Mut und Humor beweist die junge Objektkünstlerin einmal mehr, dass die Darstellung von Körperlichkeit und Sexualität keine Verkrampfung auszulösen braucht, sondern mit derselben Selbstverständlichkeit wie das Arrangieren eines Früchtestillebens vor sich gehen kann. 

Kathleen Bühler, Jahrbuch 2000


«Schweinemagd», Stop Motion Animation, 00:32, Loop, Projektion, Kunsthalle Winterthur, 2012

Mit der Figur der Schweinemagd, die kurbelnd Tier um Tier der ihr anvertrauten Herde in einen Brunnenschacht lockt, verweist Theres Liechti auf Motive der Volksliteratur, ohne jedoch eine spezifische Vorlage zu zitieren. Wie im Märchen korreliert die als Abwehr verhexter Freier durch die ebenso schöne wie stolze Maid verstandene Handlung in ihrer Radikalität mit latenten persönlichen Wunschvor-stellungen von Liebe und Glück. In der doppelten Unentrinnbarkeit, die sich, potenziert durch den Loop, aus dem unaus-weichlichen Brunnensturz und der zyklischen Wiedereinreihung der Tiere in den Reigen ergibt, erfüllt sich die für Märchen charakteristische Unterscheidung in Gut und Böse, Belohnung und Bestrafung jedoch nicht. Für den Ausgang und damit auch für die Moral der Geschichte wird an den Betrachter und seine Phantasie appelliert.

Astrid Näff


«Zeichnungen», Mixed Media, Installation, Kunstforum, Winterthur, 2012

Theres Liechti arbeitet in den verschiedensten Medien. Ihr Repertoire umfasst Zeichnung, Malerei, Objektkunst und Film. Die langjährige Konstante in ihrem Oeuvre ist zweifellos die Zeichnung. Dabei steht meistens das Körperliche im Vordergrund. Körperlichkeit wird ohne Umschweife sehr direkt, aber niemals vulgär dargestellt. Durch ihre Tabulosigkeit entmystifiziert Theres Liechti sagenumwobene Themen wie Sexualität oder Geburt und verseht sie sattdessen mit einem feinen Zauber des Alltäglichen.

Rebecca Gericke-Budliger



 

«Monster», Video, 9:39, Loop, Projektion, Privatsammlung, 2012 

«Monster», ein Wiedergänger der Schattenspielfiguren unserer Kindheit, ist Handwerk im wortwörtlichen Sinn. Das Fertigungsstück bleibt jedoch ungreifbar, ist flüchtiges Trugbild, Einbildung, Phantom. Durch Umkehrprojektion zur Lichterscheinung erklärt, lässt der Formwandler die Umstehenden dennoch gebannt vor seiner Silhouette verharren. Mit ganz simpel anmutenden Mitteln wird so ein Bogen geschlagen von den einst ängstigenden Ausgeburten der Phantasie zu den Mechanismen der Imagination und zur Magie des bewegten Bilds.

Astrid Näff


 

»Reh», Video, 05:33, Loop, Installation «Im Wald», kunstkasten, Winterthur, 2012

Sammlung Kanton Zürich

Schwere Gardinen sind aus der Mode geraten. Wer ein Loft bewohnt, gibt sich weltoffen und verbarrikadiert sich nicht mit Vorhangbahnen. Es gibt jedoch auch den gegenteiligen Trend: In unsicheren Zeiten neigen die Menschen zum Cocooning, ziehen sich in die eigenen vier Wände zurück und finden hier ihr kleines Glück. Die Winterthurer Künstlerin Theres Liechti hat den Kunstkasten am Katharina-Sulzer-Platz mit opaken Tüllvorhängen ausgekleidet und setzt damit einen Gegenakzent zur durchdesignten Umgebung, die trotz des Baumbestands steril wirkt. An der Stirnseite des «Guckkastens» erlaubt ein Spalt den Passanten, einen Blick in das behagliche Gemach zu werfen.Dort bewegt sich ein Reh - kein echtes, nur der Schattenriss einer Spielfigur. Eine rosafarbene Wolldecke mit Blattmotiven dient als Projektionsfläche. Auch wenn die Installation ‹Im Wald› heisst, fühlt man sich in ein Kinderzimmer versetzt. Weitere Spielsachen fehlen zwar, doch das durch Stop-Motion-Animation belebte Tier, das einknickt und sich immer wieder aufrichtet, ruft zahlreiche Assoziationen hervor. Ein feiner Riss durchzieht die vermeintlich heile Welt. Theres Liechti arrangiert Puppen und anderen Kinderkram zu kurzen, fast sprichwortartigen Geschichten, die unterschwellige, stumme Schrecklichkeiten des Alltags thematisieren.

Angela Cavegn


 

«Datscha», Stop Motion Animation, Loop, 3-fach-Projektion, Skulpturen Symposium, Weihertal, 2011


Medial ist Theres Liechti eine Grenzgängerin, die sich mühelos zwischen Zeichnung und Objekt, Film, Fotografie und Installation bewegt. 2007 intensiviert sie den Einbezug Neuer Medien und befasst sich seither vornehmlich mit dem bewegten Bild. Ihre erklärte Präferenz gilt dabei dem mit Hilfe von Fotokamera und Computer im Stop Motion-Verfahren entstehenden Animationsfilm, da sie weniger am Registrieren einer wie auch immer gearteten Realität, dafür umso mehr am Haptischen der Arbeit am Tricktisch sowie am anregenden, die Phantasie beflügelnden Potential ihrer Figuren interessiert ist. Komplexere Erzählstränge meistert sie durch Verdichtung. Öfter jedoch ist das Bildgeschehen monoszenisch und Konzentration, Unterbrechung, Wiederholung und Rhythmus ersetzen die Narration. Jede Arbeit kann schliesslich verschiedene Werkformen annehmen, wobei Bildschirm- und Monitorvarianten gleichberechtigt neben Projektionen im abgedunkelten Raum stehen. Ihre Wahl trifft die Künstlerin situativ. Ausschlaggebend ist die Umgebungshelligkeit und seit 2010 verstärkt auch der Wunsch, das bewegte Filmbild als bewegliches Bildobjekt vorzuführen, das ganz nach Belieben auf- oder abgehängt, in Relation zu benachbarten Arbeiten gesetzt oder gar installativ eingebettet werden kann.

Astrid Näff



 

«Blinzeln», Stop Motion Animation, 00:15, Loop, Projektion, visarte, Zürich, 2010 


Mit dem Blinzeln thematisiert Theres Liechti einen der wichtigsten Kunstgriffe filmischer Animation. Den vom Menschen ebenso beiläufig wie spontan ausgeführten Unter-brechungsakt des Sehens ergänzt sie durch ein Zwinkern, mit welchem die Puppe koket-tierend um Aufmerksamkeit wirbt. Tritt der Betrachter auf den Versuch der Kontaktaufnahme ein, fällt er listigen Umständen zum Opfer, da er, wider besseres Wissen, die Befähigung einer offensichtlich unbelebten Figur zur Kommunikation akzeptiert.

Astrid Näff

«Weggli», «Reh im Gras», «Besame mucho», Stop Motion Animation, LoopInstallation , Atelier Alexander, 2010

... während Fotografie und Videoinstallationen nur am Rand, dafür in überzeugender Qualität vorkommen, zum Beispiel in Theres Liechtis (geb. 1968) sechs Videoanimationen auf präparierter Spiegelfläche, die ironisch und subversiv das gewohnte Sehen unterlaufen (Atelier Alexander).

Suzanne Kappeler, NZZ, 16.12.2010

«Im Atelier Alexander sind es vor allem die Videos von Theres Liechti, die einen begeistern. Ihre sekundenkurzen Loops («Liebe», «Weggli», Kaulquappe» usw.) sezieren mit ungemein präzisem, trockenen Humor allzu(zwischen)menschliches. Wunderbar vor allem das atmende «Weggli», das allerlei Assoziationen bereithält. Bon Appétit!.»

Lucia Angela Cavegn, Der Landbote, 4.12.2010


«Baby», Stop Motion Animation, 00:12, Loop, 2009

Eine Babypuppe und ein Kondom, letzteres wassergefüllt und vom Verhütungsmittel zur Fruchtblase uminterpretiert, sind die sim-plen Bestandteile dieser Animation, mit der Liechti an frühere Arbeiten zu Sexualität und Geburt anknüpft. Das Versprechen von Liebe und Glück, ein Kernthema der Künstlerin, scheint im Bild dieses zarten, noch im Mutterleib geborgenen Lebens unmittelbar in Erfüllung zu gehen. Wie so oft in Liechtis Werk stellt sich bei vertiefter Betrachtung aber auch das Bewusstsein um die stete Gefährdung allen Hochgefühls ein. Schon ein Nadelstich reicht, und das Glück zerplatzt.

 Astrid Näff


«Kampf», Video, 00:40, Loop, 2009 

 Triumphierender Held des ungleichen Kampfes ist Rey, der Chihuahua der Künstlerin. Humorvoll und mit viel Sympathie für die Schwachen transponiert Theres Liechti die verspielte Alltagsszene auf die Ebene der Allegorie, wo Mut und Übermut kein Widerspruch sind. Doch es klingt auch ein leiser melancholischer Unterton mit, bedenkt man z.B. die evolutionsgeschichtliche Kluft zwischen Wildtier und Streicheltier oder die Gefährdung der lebenden Vorbilder manchen Kuscheltiers in freier Natur. Diesem Umstand entspricht auch die nüchterne Farbstimmung in ihrer – zufälligen – Reduktion auf Schwarzweiss.

 Astrid Näff

 

 

«Besame mucho», Stop Motion Animation, 01:06, Loop, ohne Ton, 2008

 

«Insomnia», Stop Motion Animation, 04:23, Loop, 2008
Sammlung Stadt Winterthur


Alltagsnah und mit Liebe zum Detail inszeniert, handelt «Insomnia», titelgetreu, vom Ausbleiben des Schlafs. Sich im Bett Wälzen, Aufstehen und Lesen sind Klassiker nächtlicher Kompensationsaktivität. Hier aber finden die als solches banalen Ver-richtungen in einem sporadisch von Blitzen durchzuckten Puppenhaus statt. Die heile Spielzeugwelt birgt folglich zugleich die Erinnerung an Kindheitsängste in sich und verwandelt sich in eine Zone prekären Gleichgewichts zwischen Schutz und Bedrohung, Traum und Trauma, Realität und Fiktion. Das psychologisch verdichtete Geschehen, das in doppelter Anlehnung an mittelalterliche Bildschemata und zeitge-nössische Split-Screens multifokal in vier Räumen erzählt wird, wirft zudem Fragen auf: Weshalb kommt das Licht mal von links, mal von rechts? Wieso scheint bei Gewitter der Mond? Und was, wenn nicht pure Leselust, hält die Figur in der Küche, wo auch Nagetiere herumhuschen, wach? Antworten gibt der Film nicht, und so bleibt der Betrachter trotz der offenen Frontseite des Puppenhauses und der bildfüllenden, zur Teilhabe einladenden Wiedergabe der Handlungsräume buchstäblich aussen vor. Dem distanzarm, d.h. unmittelbar gezeigten und dadurch als dramatisch definierten Geschehen steht er machtlos, ohne Möglichkeit zum Eingreifen gegenüber. Nur die eigene Vorstellungskraft öffnet Auswege, doch selbst diese verlaufen sich letztlich im Loop. Diese Passivsituation unterscheidet «Insomnia» vom vertrauten, spielerischen Umgang mit dem Puppen-haus, bei dem üblicherweise eine aussen-stehende Person die Geschicke der Erzählfiguren lenkt. Das Gefühl, etwas Unerwartetes könnte in die nächtliche Stille einbrechen, das Umkippen vom Heimeligen ins Unheimliche gemäss Freud, ist somit längst nicht allein an den Furchtfaktor Unwetter oder an den Topos der zum Leben erweckten, selbsttätig agierenden Puppen geknüpft. Mindestens ebenso sehr ist das Unbehagen narratorisch bedingt, da der auktoriale, d.h. allwissende oder omni-potente Status des an die Stelle des Erzählers gerückten Betrachters unterbunden worden ist und erst auf der Meta-ebene des analytischen Weiterdenkens reaktiviert werden kann. «Insomnia» oder vielmehr die virulente, kräftezehrende Schlaflosigkeit lässt sich somit nicht zuletzt als Synonym für Gedankenaktivität verstehen. Das Puppenhaus als Ort der Handlung wird dadurch zur Spielstätte für den geistigen Gebrauch.

Astrid Näff

 

«Tatorte», Stop Motion Animation, 12:57, 2007
Sammlung Stadt Winterthur


«Eine lustvolle Überraschung bietet das Kinderzimmer nebenan: Theres Liechti lädt den Besucher auf rosa Plastikhockern zur
Besichtigung der «Tatorte» häuslichen Lebens. Ein 12-minütiger Film lässt in kurzen Sequenzen vermeintlich unschuldiges Kinderspielzeug in skurrilen Abgründigkeiten und Obszönitäten schwelgen.»
Mario Lüscher, Tatort und Spielplatz - Kunst hier und jetzt, Der Landbote, 6.12.2007

 

«Frau», Blut auf Toilettenpapier, 2006


«Milch», Mixed Media, 2005


«Die Schürzenjägerin», Mixed Media, Installation Kunstmuseum Winterthur, 2003

«Im vorderen Teil des Kabinetts befindet sich die geistreiche Installation von Theres Liechti. Niedliche, zu Teppich und kugelförmigen Objekten zusammengenähte Kuscheltiere entpuppen sich als Jagdtrophäen einer jungen Schürzenjägerin.»

Lucia Cavegn, Der Landbote, 13.12.2003


«Gönnerobjekt Künstlergruppe Winterthur», Strumpf, Schaumstoff, Kartonschachtel, Edition 120

Installation, Kunstmuseum Winterthur, 2002


«Rey amarillo», Aquarell, 100x70 cm, 2002


«Schmetterling», Aquarell, Die Unjurierte, Winterthur, 2001


«Pas de deux», Mixed Media, Installation Kunstmuseum Winterthur, 2001


 

«Die Hochzeit», Mixed Media, Installation, Atelier Alexander, 2000


«Zu den gemalten Porträts angestrengt glücklicher Brautpaare gesellen sich Vulkanbilder. Die stilisierten Vulkane verbinden mexikanische Landschaftseindrücke mit unverhohlen sexueller Symbolik, stehen gleichermassen für feurige Vitalität, Unberechenbarkeit und untergründige Bedrohung. Vulkane finden sich auch auf der knallbunten Spielwiese der Bodenobjekte. Einige von ihnen sind zu Pyramiden «domestiziert» andere konkurrieren mit den plastischen Körpern von Türmen, Blumen, Früchten und Kernen. Über der Ebene üppiger Lebenslust hängen Tüllwolken in Pastelltönen am Ehehimmel. Wie Sprechblasen eines unsichtbaren Spielverderbers warnen sie mit Aufschriften «Die Ruhe ist trügerisch» oder «Der Ausbruch kommt plötzlich». Die Ambivalenz der Hochzeit zwischen lebendigem Ritual und Inszenierung, Vereinnahmen und Verausgaben, fasst Theres Liechti im Schaufenster der Galerie in einer Art Altar zusammen. Unter einem Hochzeits- Doppelporträt liegen Zitrusfrüchte: echt, aber schrumplig, ausgehöhlt und zusammengeflickt die einen, mit intakter Haut, schön farbig, doch aus Silikon die andern.»
Barbara Handke, Tages Anzeiger, 3.7.2000

Das Salz in der Suppe dieses Hochzeitsbanketts sind die locker in der Ausstellung verstreuten, pastellfarbenen Tüllwöllkchen, auf die Sätze aufgesprayt sind wie: „Die Wolken verdichten sich“, „Die Ruhe ist trügerisch“, „Der Ausbruch kommt plötzlich“ und so weiter. Theres Liechti ahmt klischeehafte, banale Sätze, die aus einem Groschenroman stammen könnten, nach und bringt so die vielen widersprüchlichen Gefühle, die mit dem Ritual der Hochzeit verbunden sind, erneut auf den Punkt.“

Kathleen Bühler, Der Landbote, 27.6.2000



«Ixtaxihuatl», Mixed Media, 1999, Installation, Kunstmuseum Winterthur

«Latexdinger», Mixed Media, 1997, Installation, Kunstmuseum Winterthur


«Vitrine», Mixed Media, 1997Installation, Kunstmuseum Winterthur


«Zopfmarathon», Still, Video, 30:37, Loop, 1996


«Waschung», C-Print übermalt, Holzrahmen, 1996


«Tamponsammlung», Tampons, Blut, Glas, 1995


«Tampon», Pause und Nagellack, 1994


«Rot», Farbstift, 1994


«Allergie», Pause und Filzstift, 1994


«Geburtsinszenierung», Polaroid, 1994


«Unterhose», Aquarell, 1994


«Geburt im Präservativ», C-Print, 1994